Auf der einen Seite steht der Wunsch, so lange wie möglich zu Hause Leben zu können. Auf der anderen Seite die Gefahr der Überforderung der Angehörigen, verbunden mit dem Risiko der Vernachlässigung. Und so manches Mal bleibt die Lebensqualität alle Beteiligten auf der Strecke.
Die Eheleute leben seit über 35 Jahren in einem Einfamilienhaus am Stadtrand. Sie ist mit ihren 84 Jahren stark sehbehindert, seit sieben Jahren pflegebedürftig und seit einem schweren Schlaganfall, der sie vor fünf Jahren zu allem Überfluss ereilte, vollständig auf die Hilfe Dritter angewiesen.
Bis vor einiger Zeit konnte sie das Bett im gemeinsamen Schlafzimmer noch stundenweise verlassen, inzwischen verbringt sie dort 365 Tage im Jahr. Ihr Mann, der seine Frau pflegt und ebenfalls vierundachtzig ist, leidet selbst an verschiedenen Krankheiten. Mit seinem Diabetes und einem Herzleiden ist er nicht mehr in der Lage, seine Frau zu mobilisieren oder gar zu tragen. Pflege unter solchen Bedingungen ist hart.
Die Beiden führten ein unauffälliges Leben. Er war Buchhalter, sie Hausfrau und Mutter. Der gemeinsame Sohn ist heute 46 Jahre und wohnt mit seiner Frau 15 Autominuten vom Elternhaus entfernt. Es gab nur wenige soziale Kontakte. Keiner der beiden war je in Vereinen, Sportclubs oder Ähnlichem organisiert. Das Verhältnis zu den Nachbarn gestaltete sich freundlich, aber unverbindlich. Das bedauert er heute sehr, gerade bei der Nachbarschaft, die er nicht „mal eben“ um Unterstützung fragen kann.
Auch nach sieben Jahren, in denen er seine Frau aufopferungsvoll pflegte, hat er sich im Grunde mit der Situation noch nicht abgefunden. Sein größter Wunsch ist nach wie vor, dass seine 84-jährige Frau gesund und selber wieder aktiv werden möge. Seine Lebenssituation empfindet er ohne Alternative. Er fügt sich in sein Schicksal, stellt kaum Fragen.
„Da kann ich nun wirklich nicht sagen, ob mir das schwer fällt oder nicht schwer fällt“, sagt er. „Da sind bestimmte Sachen, die gemacht werden müssen. Da werden sie also gemacht, nicht?“
Der Mann ist mit seinen alltäglichen Auf gaben körperlich und geistig immer wieder überfordert. Seine bettlägerige Frau leidet an doppelter Inkontinenz und muss rund um die Uhr Windeln tragen. In der Ecke steht verlassen ein Rollator. Die äußere Erscheinung der Frau gibt deutliche Hinweise darauf, dass es bei der Körperhygiene mangelhaft zugeht. Sie könne, erklärt er, nur noch mit Hilfe eines Lifters gebadet werden, und der passe nicht in das enge Bad. Also wird sie seit mehreren Jahren ausschließlich im Bett gewaschen. Die räumlichen Beschränkungen sind eines. Ungepflegte Fingernägel, schlechte Zähne, Mundgeruch, fettige Haare zeigen doch eher: Hier ist mit allen genutzten Möglichkeiten eine Belastungsgrenze erreicht, die Pflegende und Gepflegte oft nicht wahrhaben wollen. Auch das Haus wirkt innen wie außen verlebt. Der Garten muss einmal sehr gepflegt gewesen sein. Heute ist er verwildert, die Wohnungseinrichtung verschlissen, wenig liebevoll und nicht sehr sauber.
Das Alter und ihre vollständige Bewegungsunfähigkeit diktieren einen Tagesablauf nach nahezu einheitlichem Muster. Die von Mann selbst zubereiteten Mahlzeiten spielen eine große Rolle, sowie die Besuche des Pflegedienstes. Dieser kommt zwischen 8.00 Uhr und 1 0.00 Uhr und wäscht die Frau von Kopf bis Fuß, was in der Regel 20 Minuten dauert. Wird es einmal später, versorgt er seine Frau mit Frühstück. Ansonsten isst sie später. Er bringt ihr dann das Frühstück ans Bett. Je nach Tagesverfassung kann sie die klein geschnittenen Brote mal alleine essen, mal hilft er ihr.
Ihr Mann bevorzugt es, getrennt von ihr zu frühstücken, während der Pflegedienst seine Frau versorgt. Gegen 10.00 Uhr ist der Pflegedienst meistens fertig. Dann erledigt er in Ruhe die Einkäufe, was zwischen einer und drei Stunden täglich dauern kann, wie er sagt. Seine Frau ist in dieser Zeit alleine, was er zwar nur ungern zulässt, aber“ da bleibt mir ja nichts anderes übrig“.